Das Kammergericht Berlin mußte sich im Verfahren 3 Ws (B) 217/18, 3 Ws (B) 217/18 – 122 Ss 99/18 mit der Frage beschäftigen, ob das händische Abstellen des Motors vergleichbar mit der Abschaltautomatik des Motors beim Stehen an einer Ampel o.ä. ist, was zur Folge habe, daß er ein Mobiltelefon nicht in die Hand nehmen und benutzen darf.
A. Regelungen des § 23 Abs. 1a und 1b StVO
I. Hintergrund
§ 23 Abs. 1a und 1b StVO regeln die Voraussetzungen für das Verbot, verschiedene elektronische Geräte,
die der Kommunikation, Information oder Organisation dienen oder zu dienen bestimmt sind,
während des Führens eines Kfz zu benutzen. Ziel ist es, daß der Kaftfahrer nicht vom Straßenverkehr abgelenkt wird, da dies zu einer Unkonzentriertheit und damit zu Unfällen führe. Lediglich solche Verhaltensweisen waren und bleiben zulässig, die
nur eine sehr kurze Zeit eine Blickabwendung und Bindung der Hände erfordern.
…
Die Blickabwendung vom Verkehrsgeschehen darf im fließenden Verkehr dabei nur so kurz wie möglich und beiläufig sein.
(BR-Drs. 556/17, Begründung Besonderer Teil, S. 25 und 26)
Wie lang dieser Zeitraum für das Blickabwenden sein darf (objektiv meßbar), konnte nicht festgelegt werden, da hier zuviele Parameter (Verkehrs-, Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnisse) exisitierten, die im Alltag aber fließend und relativ seien (BR-Drs. 556/17, Begründung Besonderer Teil, S. 26).
II. Erfaßte Geräte
Dabei handelt es sich gem. § 23 Abs. 1a S. 2 StVO um
Mobiltelefone oder Autotelefone, Berührungsbildschirme, tragbare Flachrechner, Navigationsgeräte, Fernseher oder Abspielgeräte mit Videofunktion oder Audiorekorder.
Diese Auflistung ist jedoch nicht abschließend, was durch das Wort „insbesondere“ deutlich wird. Der Verordnungsgeber (BR-Drs. 556/17, Begründung Besonderer Teil, S. 27) hatte dabei auch weitere Geräte im Blick:
sämtliche Handys, Smartphones, BOS- und CB-Funkgeräte
und Amateurfunkgeräte, auch solche mit reinem push-to-talk-Modus, Tablet-Computer, Touchscreens, elektronische Terminplaner, Diktiergeräte, E-Book-Reader, MP3-Player,
Personal Computer, DVD- und Blu-Ray-Player, CD-Rom-Abspielgeräte, Smartwatches, Walkman, Discman und Notebooks.
III. Zulässige Verhaltensweisen
- Solange das Gerät nicht in die Hand genommen wird, ist die Nutzung weiterhin zulässig.
Bislang ist das Annehmen eines Telefongesprächs durch Drücken einer Taste oder das Wischen über den Bildschirm eines Smartphones zu diesem Zweck erlaubt, soweit das Mobiltelefon nicht in die Hand genommen wird. Dabei soll es auch bleiben.
(BR-Drs. 556/17, Begründung Besonderer Teil, S. 27).
2. Um dem Verbot, das Gerät in die Hand zu nehmen, gerecht zu werden und dieses dennoch nutzen zu können, kann es z.B. arretiert sein oder mittels Freisprecheinrichtung bzw. „eines Knopfs im Ohr“ (jeweils Mobiltelefon) genutzt werden (BR-Drs. 556/17, Begründung Besonderer Teil, S. 27).
3. Weiterhin darf im Rahmen einer kurzen beiläufigen Blickabwendung vom Straßenverkehr gem. § 23 Abs. 1a S. 3 StVO z.B. auf das teilweise eingebaute HUD („Head-up-Display“) geschaut werden, denn
Das Zeigen von Verkehrszeichenanordnungen im
Blickfeld und von fahrzeugseitigen Informationen zum Zustand des Fahrzeugs sowie Informationen zum Fahrtweg erscheinen generell geeignet, um den Fahrzeugführer bei der sicheren Verkehrsteilnahme zu unterstützen. Unter fahrtbegleitenden Informationen ist die Angabe des Radiosenders oder des aktuell abgespielten Musiktitels zu verstehen. Das Ablesen dieser Informationen im Head-up-display erscheint – bei Einhaltung der in Absatz 1a Satz 1 festgelegten Dauer des Blickes – weniger ablenkend, als wenn der Fahrzeugführer zum Ablesen seinen Blick stets auf das Autoradio in der Mittelkonsole richten muss.
(BR-Drs. 556/17, Begründung Besonderer Teil, S. 27).
4. Neu zugelassen im § 23 Abs. 1a S. 1 Nr. 2 a) StVO ist die Nutzung mittels Sprachsteuerung oder Vorlesefunktion, denn so könne sich der Fahrzeugführer visuell weiter auf das Fahrgeschehen konzentrieren und es werde ein länger andauernder „Blindflug“ so weitgehend verhindert.
5. Längere Zeit dürfen gem. § 23 Abs. 1b S. 3 StVO Bildschirme oder Sichtfeldprojektionen geschaut werden, wenn es entweder zur Bewältigung der Fahraufgabe des Rückwärtsfahrens oder Einparkens handelt, soweit das Fahrzeug nur mit Schrittgeschwindigkeit bewegt wird oder es um die Benutzung elektronischer Geräte geht, die vorgeschriebene Spiegel ersetzen oder ergänzen. Dabei handelt es sich um die Nutzung elektronischer Einpark- oder Rangierassistenten, die Bilder erstellen, d.h. um Bildschirme einer Rückfahrkamera oder das HUD. Diese Ausnahme soll es ermöglichen, den Assistenten effektiv nutzen zu können (BR-Drs. 556/17, Begründung Besonderer Teil, S. 28).
IV. Unzulässige Verhaltensweisen
1. Wie bisher ist es untersagt, das Gerät in die Hand zu nehmen, um es zu benutzen. Dies betrifft alle Nutzungsmöglichkeiten (telefonieren, Texte lesen und/oder schreiben [BR-Drs. 556/17, Begründung Besonderer Teil, S. 12 – Hinweis auf Studie]).
2. Aus dem Kontext des § 23 Abs. 1a S. 1 Nr. 2 b) StVO heraus, ist es z.B. untersagt, ein Navigationsgerät zu programmieren, da dies mehr als nur einen kurzen beiläufigen Blick erfordere (BR-Drs. 556/17, Begründung Besonderer Teil, S. 11 – Hinweis auf Studie).
3. Im weiteren ist gem. § 23 Abs. 1a S. 3 StVO die Nutzung von einem auf dem Kopf getragenes visuelles Ausgabegerät, insbesondere eine Videobrille, untersagt. Dahinter verbirgt sich das Verbot, eine Virtual-Reality-Brille oder Google-Glass-Brille zu tragen. Dies trage
dem Umstand Rechnung, dass sich der Fahrzeugführer durch das Aufsetzen einer solchen Brille in Funktion vollständig vom Verkehrsgeschehen abkoppelt.
(BR-Drs. 556/17, Begründung Besonderer Teil, S. 27)
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V. Ausnahmen von dem Verbot
Neben den o.a. zulässigen Verhaltensweisen (A. III.) gilt im hier interessierenden Fall gem. § 23 Abs. 1b S. 1 Nr. 1 StVO dieses Verbot nicht für
ein stehendes Fahrzeug, im Falle eines Kraftfahrzeuges vorbehaltlich der Nummer 3 nur, wenn der Motor vollständig ausgeschaltet ist,
Dies bedeutet, daß der Kraftfahrer dann das Mobiltelefon usw. aufnehmen darf, wenn der Motor von ihm zuvor ausgestellt wurde und das Kfz vollständig zum Halten gekommen ist. Das oftmals festzustellende Anhalten, Laufenlassen des Motors und dabei Telefonieren ist also eigentlich ebenfalls unzulässig.
Mittlerweile exisitieren viele Fahrzeuge mit einer sog. Start-Stop-Technik. Hierzu regelt § 23 Abs. 1b S. 2 StVO, daß das fahrzeugseitige automatische Abschalten des Motors im Verbrennungsbetrieb oder das Ruhen des elektrischen Antriebes ist kein Ausschalten des Motors in diesem Sinne.
Hintergrund für diese Ausnahme war, daß
Die Ausgrenzung des Motorabschaltens über die Start-Stop-Funktion trägt dem Umstand Rechnung, dass solche verkehrsbedingten Anhaltevorgänge, bei denen es „gleich wieder los geht“ und bei denen die Konzentration des Fahrzeugführers auf die Fahraufgabe weiter benötigt wird, nicht für eine untersagte Nutzung missbraucht werden sollen. Unter diese Ausgrenzung des automatischen Motorabschaltens fallen auch Elektrofahrzeuge, deren Motor im Stand in den Standby-Modus schaltet.
VI. Zusammenfassung
Insgesamt gilt: Grundsätzlich ist es untersagt, ein Gerät in die Hand zu nehmen oder für längere Zeit einen Blick darauf zu werfen bzw. es so zu benutzen. Ausnahme davon ist u.a., wenn der Motor (per Hand) ausgeschaltet ist. Von dieser Ausnahme ist jedoch eine gesetzliche Rückausnahme im Fall der Start-Stop-Funktion gegeben, so daß der Grundsatz wieder gilt (Verbot).
B. Entscheidung des Kammergerichts
In der Entscheidung ging es um einen Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Das Amtsgericht Tiergarten hatte den Antragssteller verurteilt, weil er den Motor (händisch) ausgestellt hatte und dann das Mobiltelefon benutzte. Trotz der gesetzlichen Vorgabe verglich das Amtsgericht dieses händische Ausstellen des Motors mit der Rückausnahme zur Start-Stop-Funktion, weil dieses genauso gefährlich wie die Start-Stop-Funktion sei.
Das sah das Kammergericht jedoch anders und bezog sich auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft Berlin. Wenn das händische Ausstellen mit der Start-Stop-Funktion vergleichbar sei, so läge eine Regelungslücke vor, die der Gesetzgeber bereinigen müsse. Eine Schließung dieser Lücke über eine Analogiebildung sei mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbar.
Daß hier der Antragssteller dennoch „verloren“ hat (sein Antrag wurde verworfen), lag letztlich nur daran, daß der Kammergericht der Auffassung war, das Amtsgericht habe hier einen „einmaligen Fehler“ begangen und halte sich zukünftig an die Vorgaben des Kammergerichts.
Insofern hat der Antragssteller zwar für rechtliche Klarheit gesorgt, jedoch bleibt er auf den Kosten und der Verurteilung sitzen. Wohl ein Phyrrussieg.